STAATSTHEATER MEININGEN (2022)
Inszenierung MAX CLAESSEN / Bühnenbild ILKA MEIER / Kostümbild CHRISTIAN RINKE / Video ANDREAS KLEIN
von Henryk Goldberg 27.11.2022 (Freies Wort / Meininger Tageblatt)
"Und dann gibt es drei Videos und immer dann, wenn die laufen, dann ist der Abend gut – was sowohl eine Aussage über die Arbeit von Andreas Klein ist als auch über den Abend. Einmal erzählt er, schnell geschnitten, deutsche Vorgeschichte, Nachkrieg, Kennedy in Berlin, Katharina Witt, Mielke, die Akten, die D-Mark, die „Kopftuchmädchen“, der „Vogelschiss“. Später die Kälte der Stadt, die Gesichter der Emigranten, die Demos von den Montagen, die Fahne der Deutschen, die Flammen der Brandstifter."
Christoph Hein gilt als einer der wichtigsten Chronisten der (ost-)deutschen Lebensverhältnisse. Mit seinem jüngsten Roman „Guldenberg“ (2021) blickt er erneut schonungslos hinter die Kulissen einer Kleinstadt und macht sie zum Symbolort für einen beängstigenden Niedergang.
Als eine Gruppe von unbegleiteten jungen Syrern im Alten Seglerheim am Stadtrand einquartiert wird, ist es mit der Ruhe in Guldenberg vorbei. Der Stammtisch schäumt. Bald fliegt der erste Stein, Reifen werden zerstochen, das Gerücht um eine Vergewaltigung erregt die Öffentlichkeit. Schließlich brennt das Alte Seglerheim. Doch was wird aus einer Stadt, in der die Gewaltbereiten, die Ewiggestrigen die Zukunft bestimmen?
Heins Roman folgt der Dramaturgie einer Eskalation. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit werden zu Brandbeschleunigern für unbewältigte historische Konflikte und zum Ventil für diffuse Zukunftsängste. Im Morast der Kleinstadt gelten eigene Gesetze, der Rechtsstaat dient hier allenfalls als Selbstbedienungsladen. Der kritische Blick des Autors macht dabei keinen Unterschied zwischen der Kleinstadtgesellschaft und den Menschen mit Fluchterfahrung. Mal wirkt „Guldenberg“ dokumentarisch, mal wie eine groteske Realsatire, auf jeden Fall ist er ein starker Stoff für die Bühne.